Sende mir mal eine Eule – der Weg vom Schlaganfall zurück ins Leben

27.07.2024 — aus der Lebensbahn geworfen

Samstag, der 27.07.2024 gehör­te zu den schwers­ten Tagen mei­nes Lebens; und er schaff­te es, mich kom­plett aus mei­ner Lebensbahn zu wer­fen. Meine Frau erlitt einen Schlaganfall.

Am Freitag zuvor blie­ben mei­ne Frau Conny und ich län­ger auf. Gegen 1:30h am frü­hen Samstagmorgen woll­ten wir ins Bett. Conny räum­te noch den Wohnzimmertisch ab und in der Küche auf, bevor sie sich zum Schlafen umzog und auf die Bettkante setz­te.

„Ich bekom­me kei­ne Luft“, keuch­te es von der Bettkante her und bin­nen Sekunden ver­schlech­ter­te sich Connys Allgemeinzustand. Und eben­so geis­tes­ge­gen­wär­tig sag­te ich ihr, dass ich den Notruf wäh­le, was sie mit einem Nicken bestä­tig­te.

Und so tipp­te ich die 112 ins Telefon. Binnen weni­ger Minuten, die mir deut­lich län­ger erschie­nen, waren die Rettungssanitäter vor Ort. Sie leg­ten ein EKG an und haben die Sauerstoffsättigung gemes­sen – 82 % Sauerstoffsättigung. Sie gaben vier Liter Sauerstoff, doch die Sättigung schaff­te es nicht über 84 %. Conny schaff­te es noch allein zur Trage im Wagen, bevor das Unheil sei­nen Lauf nahm.

Lebenskampf

78 % Sauerstoffsättigung – Lebensgefahr. Binnen weni­ger Minuten wur­de ein Notarzt hin­zu­ge­zo­gen. Und vier­zig Minuten lang wur­de im Rettungswagen ver­sucht ihr Leben zu ret­ten und sie für den Abtransport ins Krankenhaus zu sta­bi­li­sie­ren. Doch sämt­li­che Maßnahmen schlu­gen fehl. Der Blutdruck schoss kurz hoch auf 290/170 und kur­zer­hand wur­de sie intu­biert und beatmet mit Blaulicht ins Krankenhaus ver­bracht.

Schockstarre. Wie im Nebel stand ich um 2:40h mit­ten auf der Straße, wo so eben noch der Notarzt park­te. Allein. Mit mir. Mit mei­nen Gedanken. Und der sich dar­aus erge­ben­den Unsicherheit.

Beruflich kom­me ich aus dem medi­zi­ni­schen Bereich und kann eini­ges ein­ord­nen, doch ein gro­ßes Unwohlsein mach­te sich in mir breit. Dass ich nicht direkt ins Krankenhaus fah­ren soll­te, ist mir klar. Erst ein­mal geht Conny durch den Scheuersack der Diagnostik.

Um 4h war ich dann zur Klinik gefah­ren, um mir ein Update zu holen. Ich teil­te der Pflegekraft mit, dass der Blutdruck in die Höhe geschos­sen war. Und die­se mir, dass die Diagnostik noch nichts erge­ben hät­te, was ursäch­lich gewe­sen sei. Meine Frau lag beatmet und sediert auf der Intensivstation und ich ver­such­te mir ein Bild von den Monitoren und den Medikamenten zu ver­schaf­fen. Kurz danach wur­de ich nach Hause geschickt, da die Diagnostik noch voll im Gange sei.

Nach einer nahe­zu schlaf­lo­sen Nacht fuhr ich mor­gens ins Krankenhaus und Conny lag noch ruhig gestellt und beatmet auf der Intensivstation.

Morgens im Krankenhaus

„Was der Auslöser war, kön­nen wir nicht sagen. Es ist weder ein Herzinfarkt noch ein Lungenproblem. Auch einen Schlaganfall kön­nen wir aus­schlie­ßen.“ Was für beru­hi­gen­de Worte. Mit einem Mal sind sämt­li­che Sorgen von mir abge­fal­len. „Dann kann es nur noch eine Herzschwäche sein“, dach­te ich in mich hin­ein und ich war glück­lich, mit dem Schrecken davon­ge­kom­men zu sein.

Der Arzt teil­te mir mit, dass er ihr mor­gen den Tubus ent­fer­nen und die Beatmung been­den wol­le. Conny war zu dem Zeitpunkt lang­sam dabei wach zu wer­den und meis­ter­te die Situation der Beatmung her­vor­ra­gend, ohne Widerstand und Panik. Ich bin rich­tig stolz auf sie gewe­sen.

Doch Moment, was hat­te der Arzt gesagt? Morgen? Sofort spran­gen bei mir Alarmglocken an: „Wieso extu­bie­ren Sie nicht direkt?“, frag­te ich den Arzt. „Das könn­te even­tu­ell zu früh sein“, teil­te er mir mit. Ich erwi­der­te: „Sie kön­nen jeder­zeit wie­der intu­bie­ren. Daher bestehe ich dar­auf, dass sie heu­te extu­biert wird. Besprechen Sie das mit Kollegen und dann schau­en wir wei­ter, ob mei­ne Frau extu­biert wird oder mit wem ich dann spre­chen muss. Sie wird heu­te extu­biert.“ Ich blick­te in ein paar ver­dutz­te Augen und dann wäg­ten die Ärzte Pro und Contra ab. Gegen Nachmittag wur­de der Tubus dann ent­fernt und Conny atme­te geschwächt, doch eigen­stän­dig.

Erste Diagnostik

„Bewegen sie ein­mal Ihre Beine“, for­der­te ein Arzt Conny auf. „Und jetzt ihre Arme.“ Das ging jeweils her­vor­ra­gend. Und mir wur­de aber­mals ver­si­chert, dass man zwar kei­ne Ursache fin­den konn­te, doch alle gra­vie­ren­den Punkte medi­zi­nisch aus­ge­schlos­sen sei­en. Conny bekam etwas zu essen und genoß zufrie­den ihr Mittagessen.

Ich rede­te mit ihr, doch sie sag­te nichts. Und wenn sie etwas sag­te, pass­te es nicht zur Frage. Ich war irri­tiert, doch noch in jüngs­ter Vergangenheit war Conny noch ruhig gestellt gewe­sen. Aus ihren frü­he­ren Operationen am Knie wuss­te ich, dass sie sehr stark auf Narkosen anspricht, wes­we­gen ich mir nichts dabei dach­te.

„Ist alles so wie immer, bei Ihrer Frau?“, frag­te mich eine Ärztin. Und ich ant­wor­te­te: „Ja, bis auf das Sprechen, doch das war öfter schon mal nach Narkosen schwie­rig gewe­sen.“ Doch die Situation war unge­wöhn­lich. Die Sedierung bei einem Tubus ist nicht so stark, wie bei einer OP-Narkose. Doch Schlaganfall, Herzinfarkt, Lungenversagen – alles aus­ge­schlos­sen. „Stephan blei­be ent­spannt. Habe Vertrauen“, ging mir zu dem Zeitpunkt durch den Kopf.

Einige Stunden spä­ter war Conny wei­ter­hin nicht rich­tig am Sprechen und kom­mu­ni­zier­te aus­schließ­lich mit Gesten. Ich schnapp­te mir vor der Heimfahrt eine Pflegekraft und teil­te ihr mit: „Hier stimmt etwas nicht. Geben Sie das wei­ter, da muss noch ein­mal geschaut wer­den!“

Und mit etwas Unbehagen fuhr ich nach Hause.

Wachgerüttelt von Adrenalin und Gedanken

Samstag 22:50h. Das Telefon klin­gel­te. „Ihre Frau wird nach Osnabrück ver­legt. Der Transport geht in weni­gen Minuten los.“ Und Adrenalin schoss durch mei­ne Adern und ich wur­de mit einem Schlag hell­wach. Wieder dre­hen sich die Mühlen der Diagnostik und besche­ren mir das Endlose war­ten. Ich ver­such­te ruhig zu blei­ben und mich hin­zu­le­gen.

Sonntag, kurz vor zwei Uhr am Morgen. Das Telefon klin­gel­te. Meine Tochter rief mich an. „Sie ver­le­gen Mama zur Not-OP nach Ibbenbüren. Sie hat einen Schlaganfall.“ Stille Panik, anders kann ich es nicht beschrei­ben. Sorge, ohne hand­lungs­fä­hig zu sein. Warten. Dieses elen­de Warten. Doch die Ursache ist gefun­den. Endlich. Sie wird ope­riert. Das wird schon wer­den. Beruhigende Gedanken.

In Ibbenbüren ange­kom­men, lag mei­ne Frau schla­fend auf der Intensivstation. „Sind Sie der Ehemann?“, hör­te ich jeman­den fra­gen. „Ja“, hauch­te ich. „Ihre Frau hat einen Schlaganfall gehabt. 60 % der lin­ken Gehirnhälfte sind dabei zer­stört wor­den. Die lin­ke Hirnhälfte. Zuständig für Bewegung. Wenn sie wach wird, wird sie sich nicht bewe­gen kön­nen. Und Sie soll­ten sich Gedanken um einen Heimplatz machen“, teil­te mir ein Arzt mit.

Jeder Versuch mei­ne Emotionen und Gedanken nie­der­zu­schrei­ben, die mir nach die­sem Satz durch den Kopf gin­gen, wür­de nicht in der Lage sein, im Ansatz zu erfas­sen, was in mir vor­ge­gan­gen ist. Deswegen ver­zich­te ich dar­auf.

Was folg­te, war ein Auf und Ab der Emotionen. Und ein gewal­ti­ges Kämpfen um die best­mög­li­che Versorgung.

Akzent setzt Fehleinschätzung

Morgens ange­kom­men, sit­ze ich am Bett mei­ner Frau. Sie ist wach, doch noch nicht ori­en­tiert. Ein Arzt kommt her­ein und spricht mit mei­ner Frau – kei­ne Reaktion. Er bit­tet Conny, die Arme aus­zu­stre­cken und die Handflächen nach oben zu dre­hen. Keine Reaktion. Er bit­tet sie, die Beine zu bewe­gen. Abermals kei­ne Reaktion.

Ich sehe, wie er auf sei­nem Formular eine Bewertung von 0 Punkten ein­trägt und gehen will. Geistesgegenwärtig reagie­re ich und bit­te den Arzt im Zimmer zu blei­ben.

Ich for­de­re mei­ne Frau auf, mir in die Augen zu sehen, was sie sofort macht. Dann bit­te ich sie, die Arme aus­zu­stre­cken – es geschieht. Ich sage ihr, dass die Handflächen nach oben gedreht wer­den sol­len. Und Conny dreht lang­sam die Handflächen nach oben. Abschließend ani­mie­re ich sie dazu, bei­de Beine zu bewe­gen, was sie macht.

Dann for­de­re ich den ver­dutzt drein­schau­en­den Arzt dazu auf, die Bewertung in mei­nem Beisein zu kor­ri­gie­ren. Mir ist näm­lich etwas auf­ge­fal­len. Ein Arzt, der mit so viel Akzent spricht, dass ich ihn kaum ver­ste­hen kann, macht es einem Schlaganfall-Patienten mit Störung im Sprachzentrum unmög­lich, ihm zu fol­gen. Wäre ich zu die­sem Zeitpunkt nicht im Krankenhaus gewe­sen, wäre mei­ne Frau falsch beur­teilt und behan­delt wor­den.

38 Puls

Ansprechbar, geschwächt und fieb­rig liegt mei­ne Frau im Bett der Intensivstation. Draußen sind es über 30 Grad und das Zimmer nicht kli­ma­ti­siert. Mit einem feuch­ten Waschlappen ver­su­che ich, mei­ne Frau immer mal wie­der abzu­küh­len. Eine Lungenentzündung bahnt sich ihren Weg und schwächt sie zusätz­lich.

Ich schaue auf den Monitor und sehe, dass der Puls immer mal wie­der unter 50 Schlägen die Minute wan­dert. Einige Zeit spä­ter unter 45. Dann 40. Bei 38 Schlägen die Minute drü­cke ich auf den Knopf an ihrem Bett und ein Pfleger kommt her­ein.

Ich wei­se ihn auf den Puls hin und erfah­re, dass sie es sich aktu­ell nicht erklä­ren kön­nen, doch bis 35 Schläge pro Minute wür­de es von den Ärzten tole­riert wer­den. Ich fra­ge nach, ob die 35 Schläge je Minute ärzt­lich bestä­tigt sei­en, was bejaht wur­de. Dann woll­te der Pfleger gehen, doch ich mach­te ihn dar­auf auf­merk­sam, dass der Alarm am Monitor noch auf 25 Schläge pro Minute steht und er es anpas­sen sol­le, da sie es sonst nicht mit­be­kom­men.

Meine Frau ist zu dem Zeitpunkt bereits der­ma­ßen geschwächt, dass sie die meis­te Zeit des Tages schläft und nur minu­ten­wei­se wach ist.

Es hin­ter­lässt kein gutes Gefühl bei mir und ich fah­re abends beun­ru­higt nach Hause.

Unfreiwilliger Pfleger

Am nächs­ten Morgen soll mei­ne Frau Tabletten ein­neh­men. Doch sie ver­steht nicht, was die Pflegerin von ihr möch­te. Diese wie­der­um wird unru­hig, da mei­ne Frau die Medikamente neh­men muss und kei­ne ande­re Pflegekraft ver­füg­bar ist, die ihr beim Legen einer Nasensonde hel­fen kann.

Da mir das Einnehmen der Medikamente eben­falls wich­tig ist und ich spü­re, wie die Unruhe der Pflegekraft mei­ne Frau ver­un­si­chert, bie­te ich mei­ne Hilfe als ehe­ma­li­ger Pfleger an. Und hel­fe dabei, mei­ner Frau die Nasensonde zu legen.

Da sie nicht ver­steht, was nun geschieht, kommt Panik in ihr auf. Und ich ver­su­che, auf sie ein­zu­wir­ken, was nicht gelingt. So muss ich sie fest­hal­ten, wäh­rend sie aus ihrer Sicht Gewalt erfährt. Ihren Blick in mei­ne Augen und die ver­zwei­fel­ten Versuche, sich mit­tels Lauten Hilfe zu ver­schaf­fen, sowie ihren Versuch, sich mit der geschwäch­ten Kraft ihrer Arme gegen mich zu weh­ren, wer­de ich nie ver­ges­sen und er ver­folgt mich bis heu­te. Ihre pure Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst brann­ten sich in mir ein.

Raum für Schock und fehlende Beißkraft

Am 31.07.2024 geht es von Ibbenbüren zurück nach Osnabrück. Um 10h soll Conny im Krankenhaus ankom­men, wes­we­gen ich dort pünkt­lich erschie­nen bin.

Mit einem heli­um­ge­füll­ten Herz-Luftballon, Geschenken und guter Laune kom­me ich am Empfang an und freue mich, ihr zum Geburtstag gra­tu­lie­ren zu kön­nen. „Ich möch­te gern mei­ne Frau besu­chen …“, säus­le ich vor mir her, bis ich jäh in mei­ner fröh­li­chen Stimmung unter­bro­chen wer­de.

„Ihre Frau liegt im Schockraum.“ Mehr Auskunft kön­ne man mir nicht geben. Panik. Adrenalin. Verzweiflung. Emotionen über­wäl­ti­gen mich. Ich will einen Arzt spre­chen, doch das gehe nicht. Ich sol­le in einer Stunde wie­der­kom­men.

Tränen und Panik

Vor dem Krankenhaus bre­che ich unter der Last mei­ner Emotionen zusam­men. Klar, ihr Herz ist mit 38 Schlägen je Minute schwach. Und auch das Fieber, die Lungenentzündung und ihre Schwäche sind nicht för­der­lich. Doch, im Schockraum? Hat sie nicht genug durch­ge­macht?

Unter Tränen infor­mie­re ich unse­re Tochter. Und las­se mich wei­nend auf einer Mauer nie­der und zäh­le die 3600 Sekunden bis ich end­lich zu ihr darf.

„So, die Stunde ist um“, höre ich mich sagen, wäh­rend ich am Empfang ste­he. Die Frau an der Rezeption wählt eine Nummer und spricht in den Hörer: „Oh. Ja. Dann sage ich ihm das.“ Ich erfah­re wie­der, dass es noch andau­ert und wer­de um wei­te­re drei­ßig Minuten ver­trös­tet.

Missverständnis

Als ich nach wei­te­ren drei­ßig Minuten for­de­re, dass ich zu mei­ner Frau kann oder ein Arzt käme, sonst gehe ich so in den Schockraum, schaut sie mich irri­tiert an: „Wieso Schockraum? Sie liegt auf der Stroke-Unit.“ Ich erwi­der­te: „Sie selbst sag­ten …“ Und sie mein­te: „Ja, Shoke und Stroke ver­wechs­le ich schon mal. Das tut mir leid.“ Und wie­der jagen Emotionen durch mei­nen Körper. Erleichterung, Wut auf die­se Unperson und aber­mals Erleichterung.

Freudiges Wiedersehen

Auf der Stroke-Unit ange­kom­men, emp­fing ich mei­ne Frau. Recht gut gelaunt im Bett der Intensivstation.

Die Pflegerin klär­te mich auf, dass sie ein fal­sches Herzmedikament erhal­ten habe, das ihren Puls lang­sa­mer mache und sie des­we­gen schlapp sei. Das sei umge­stellt wor­den. Erneut die­ses Gefühl von Erleichterung. Und dann die nächs­te Frage an mich: „Haben Sie die Zähne Ihrer Frau?“ „Nein, die hat­te sie ges­tern im Badezimmer, die habe ich dort abge­legt.“ „Nein, als sie auf der Intensivstation ange­kom­men ist, hat­te ihre Frau kei­ne Zähne im Mund.“

Frust dank Zahnverlust

Verdammte Scheiße. Die Zähne benö­tigt sie zum Sprechen ler­nen. Und über­haupt. Zum Essen. Wo sind die­se ver­damm­ten Zähne?

Ich rief in der Klinik Ibbenbüren an und ließ mich mit der Station ver­bin­den. Nein, dort sind kei­ne Zähne auf­find­bar. Ich fuhr dort­hin. Keine Zähne auf­find­bar. Und ich ver­lang­te um Auskunft, wo sie ver­blie­ben sein kön­nen. Auf den nächs­ten Tag wur­de ich ver­trös­tet. Dann kön­ne ich mit der Pflegerin spre­chen, die mei­ne Frau für den Transport vor­be­rei­tet hat.

Der nächs­te Tag brach­te die Klarheit, dass die Zähne im Mund waren, als Conny nach Osnabrück gefah­ren wur­de. Ich rief direkt auf der Intensivstation an und teil­te mit, dass die Zähne im Mund waren und nun in Osnabrück ver­lo­ren gin­gen. Das kön­ne nicht sein, hör­te ich am ande­ren Ende. Und ich teil­te mit, dass ich kom­me und mit der Pflegekraft, die mei­ne Frau ent­ge­gen­nahm, jeden Bereich ein­zeln durch­ge­hen wer­de, in dem sie unter­sucht wur­de. Dafür habe man kei­ne Zeit, ließ man mich wis­sen und ich reagier­te mit der not­wen­di­gen Emotion.

Direkt danach mach­te ich mich auf den Weg zum Zahnarzt, um in Erfahrung zu brin­gen, wel­che Optionen ich beim Zahnverlust habe. Ich woll­te sofort einen Plan B haben, damit ein­ge­schätzt wer­den kann, wie es sich mit dem Kauen, Schlucken, Essen und Sprechen ver­hält. Und die Therapie star­ten kann. Ich war gera­de bei der Arzthelferin unse­res Zahnarztes im Gespräch, als ich einen Anruf erhielt: „Die Zähne Ihrer Frau sind wie­der im Mund.“ Welch erlö­sen­de Nachricht und Erleichterung.

Später erfuhr ich, dass die Zähne für Untersuchungen aus dem Mund genom­men und irgend­wo abge­legt wur­den. Und dann wur­de schlicht ver­ges­sen, sie wie­der ein­zu­set­zen.

Falsche Punktevergabe

Insgesamt ist die Pflege auf der Intensivstation in Osnabrück aus­ge­zeich­net gewe­sen und mei­ne Frau wur­de wirk­lich her­vor­ra­gend umsorgt.

Die Medikation aus Ibbenbüren, die für 38 Herz-Schläge pro Minute ver­ant­wort­lich war, wur­de abge­setzt. Die täg­li­che Sprachtherapie begann.

Dann erleb­te ich etwas, was mich nach­denk­lich stimm­te. Ich kam etwas eher als sonst und saß bei dir, als eine Frau her­ein­kam, Conny ansah und nick­te, zu einem Klemmbrett ging und dort ein Formular aus­füll­te. Anschließend ging sie wort­los aus dem Zimmer.

Folglich stand ich auf und ging zu dem Formular. Und ich sah, wie eine Beurteilung ein­ge­tra­gen wur­de. Bewusstseinszustand, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Sprachfähigkeit, Orientierung und ande­re Parameter wur­den hier mit einem Punktesystem von 0 bis 3 bewer­tet. Und die Bewertung sah auch für die Verhältnisse mei­ner Frau noch schlecht aus, wes­we­gen ich eine Pflegerin frag­te, was das für ein Formular sei.„Da prüft jemand, wie der Zustand ihrer Frau ist“, erhielt ich als Antwort, die mir noch mehr Fragezeichen ins Gesicht trieb. „Muss dafür nicht jemand mit mei­ner Frau spre­chen?“, frag­te ich nach. Und die Antwort lau­te­te: „Da kommt immer jemand, der sich ein Bild von ihrer Frau macht.“

Nach einem kur­zen Moment der Fassungslosigkeit, klär­te ich die Pflegerin dar­über auf, dass das wohl stim­me. Doch die­se Person spre­che nicht ein­mal mit mei­ner Frau, bevor der Bogen aus­ge­füllt wird.

Das sorg­te zumin­dest dafür, dass ab die­sem Zeitpunkt mit mei­ner Frau drei­mal täg­lich vor dem Ausfüllen des Bogens gespro­chen wur­de; dass die Ergebnisse etwas bes­ser aus­ge­fal­len sind als zuvor, möch­te ich hier noch abschlie­ßend erwäh­nen.

Punktieren ohne Blick in die Unterlagen

Meine Frau wird umsorgt. Die Lungenentzündung wird merk­lich bes­ser, nur das Wasser in der Lunge will nicht raus.

Es kommt ein Arzt, der einen Ultraschall von der Lunge macht. Ebenso hört er die­se ab. Und er teilt mit, dass er emp­fiehlt, die Lunge zu punk­tie­ren, damit das Wasser ent­fernt wer­den kann.

Sofort leg­te ich ein Veto ein und er schau­te mich ver­dutzt an. Ich erin­ne­re ihn, dass mei­ne Frau Clopidogrel und ASS erhält. Eine Punktierung der Lunge hät­te eine inne­re Blutung zur Folge. Dann schaut er in den Medikamentenplan und weicht von sei­ner Meinung ab. Und mei­ne Frau erhält Diuretika, um das Wasser aus der Lunge zu eli­mi­nie­ren, was bin­nen weni­ger Tage gelingt.

Der Wunsch aufzustehen

Meine Frau wird auf die Normalstation ver­legt; ein gutes Zeichen. Allerdings darf sie das Bett nicht ver­las­sen. Sie erhält noch Sauerstoff und muss mehr­mals täg­lich inha­lie­ren.

In der Visite erfah­re ich, dass mei­ne Frau auf­ste­hen darf, sobald es die Sauerstoffwerte zulas­sen. Und ich sehe, dass sie zwi­schen 90 % und 93 % Sauerstoffsättigung liegt. Keine Traumwerte. Das ist mir bewusst. Doch ich spre­che einen Pfleger dar­auf an, der mir mit­teilt, dass Aufstehen aus­ge­schlos­sen sei.

Ein erneuter Anlauf

Am nächs­ten Tag lie­gen die Werte mit 2 Liter Sauerstoff je Minute zwi­schen 92 % und 94 %. Ich spre­che den Pfleger wie­der dar­auf an und erhal­te eine ver­nei­nen­de Antwort.
Und die­ses Mal blei­be ich hart­nä­ckig. „Wenn es unbe­dingt sein muss. Dann aber nur auf dem Flur. Und wir müs­sen den Wert regel­mä­ßig über­wa­chen“, ant­wor­te­te der Pfleger hör­bar genervt.

Gesagt. Getan. Meine Frau steht auf und wir gehen ein paar Schritte bis zu einer Sitzgruppe. Dort las­sen wir uns nie­der und mei­ne Frau trinkt das ers­te Mal glück­lich einen Kaffee am Tisch. Misslaunig beäugt vom besag­ten Pfleger.

Viele Pfleger gin­gen den Flur ent­lang. Und nicht einer woll­te Sauerstoff mes­sen. Überhaupt gab es von dem Moment nie­man­den mehr, der sich für die Sauerstoffsättigung mei­ner Frau inter­es­sier­te. Keine Messung mehr. Und kein Sprechen mehr dar­über. Als wäre das das Unwichtigste über­haupt.

Dank der Apple Watch, die mei­ne Frau trägt, konn­ten wir den Wert selbst im Blick behal­ten. Und was ich schon sei­ner­zeit in der Pflege lern­te, griff auch hier: wird die Lunge ver­nünf­tig belüf­tet und kommt Aktivität hin­zu, dann bes­sert sich auch die Sauerstoffversorgung. Schnell waren wir bei 93–97 % Sättigung.

Am nächs­ten Tag kam unse­re bes­te Freundin vor­bei und wir gin­gen mit Conny nach drau­ßen, wofür wir uns einen Rollstuhl aus­lie­hen.

Und der Pfleger? Er knurr­te vor sich hin, doch die von ihm als so wich­tig pro­kla­mier­te Sauerstoffmessung fand nie wie­der statt.

„Für so einen Scheiß habe ich keine Zeit“

Einen Tag zuvor lag Conny im Bett und sag­te: „Sende mir mal eine Eule.“ Okay. Wir sind im Harry Potter Universum, dach­te ich noch, als Conny unru­hig wur­de. “Sende mir jetzt mal eine Eule“, bekräf­tig­te sie ihren Wunsch. Auf Nachfrage wur­de Conny etwas böse mit mir und ich erklär­te ihr, dass es für sie rich­tig klingt, doch für Außenstehende wenig Sinn ergibt. Einige Fragen spä­ter war klar, was sie mein­te: Bitte hole mir einen Kaffee. Erkannt, getan. Und Conny war glück­lich über ihren Kaffee. Und wir übten den Nachmittag immer mal wie­der, Kaffee zu bestel­len, bis ich abends nach Hause fuhr.

Täglich bin ich von 10:00h bis 19:30h bei ihr vor Ort. Und zwi­schen­zeit­lich tele­fo­nie­ren wir oft. So auch die­sen Morgen kurz nach neun Uhr. Meine Frau hört immer auf zu spre­chen, wenn jemand das Zimmer betritt, und ich akzep­tie­re das und schwei­ge dann selbst.

Und plötz­lich höre ich sie, Folgendes sagen: „Könnten Sie mir eine Tasse Kaffee holen?“ Sofort sam­meln sich Tränen in mei­nen Augen. Das ers­te Mal. Fehlerfrei! Ein gan­zer Satz. Begeisterung.

Anstatt, dass dies Beachtung fin­det und sie bestärkt wird, sagt die Pflegekraft: „Für so einen Scheiß habe ich jetzt nun wirk­lich kei­ne Zeit.“

Meine Frau war trau­rig. Ich erläu­ter­te ihr, wo sie den Kaffee selbst holen kön­ne. Und fuhr mit eini­gen Emotionen im Bauch zum Krankenhaus.

„Für so einen Scheiß habe ich kei­ne Zeit“, wie­der­hol­te ich den Satz, nach­dem ich erläu­tert hat­te, was sich zuge­tra­gen hat. „Ihre Frau hat­te einen Schlaganfall. Ihr Gehirn ist defekt. Und sie kann nicht rich­tig spre­chen. Da bringt sie bestimmt etwas durch­ein­an­der“, hör­te ich die Person ant­wor­ten, deren Stimme ich sofort erkann­te.

„Ja, da haben Sie recht“, stimm­te ich zu. „Meine Frau könn­te sich irren. Aber ich nicht. Ich bin gesund. Und ich war zu dem Zeitpunkt am Telefon. Und ich wer­de hier und jetzt nichts unter­neh­men. Doch wenn es noch ein ein­zi­ges Mal vor­kommt, dann wer­de ich not­falls bis zur Klinikleitung vor­ge­hen und nicht eher Ruhe geben, bis es Konsequenzen gibt. Haben wir uns ver­stan­den?“, sprach ich bestimmt und mit tie­fem Blickkontakt.

Es gab ein kur­zes Erröten. Und ich ging zu mei­ner Frau, um sie zu begrü­ßen. Seitdem bekam mei­ne Frau Kaffee. Und ihre Bettnachbarin pro­fi­tier­te eben­falls von einer freund­li­che­ren Behandlung.

Endlich komme ich zur Ruhe

Ein paar Tage spä­ter erhal­ten wir eine wun­der­ba­re Nachricht: Ein Platz in der Früh-Rehabilitation in Westerstede in der Ammerland-Klinik wur­de frei.

Am 14. August mach­te ich mich früh­mor­gens auf den Weg nach Westerstede. Meine Frau wur­de mit einem Krankentransport dort­hin ver­bracht.

Etwa 30 Minuten, bevor mei­ne Frau ange­kom­men war, war ich vor Ort. Schaute mir die Klinik an, die einen aus­ge­zeich­ne­ten Eindruck hin­ter­ließ. Dann bestell­te ich mir ein mit 17,– € arg über­teu­er­tes Frühstück. Bevor ich dank der „Wo ist?“-Funktion von Apple sah, dass mei­ne Frau im Anmarsch ist.

Osnabrücker Kennzeichen. Krankentransport. Sofort ging ich auf den Wagen zu und wur­de zu mei­ner Frau gelas­sen. Sie wur­de lie­gend trans­por­tiert, was nicht nur unnö­tig ist, son­dern auch zeigt, wie schlecht mei­ne Frau beur­teilt wur­de.

Nach etwas Sucherei mit dem Krankenwagen fuh­ren wir zur Notaufnahme, wo mei­ne Frau wider­wil­lig ent­ge­gen­ge­nom­men wur­de. Widerwillig, da es nicht die Liegendanfahrt war. Doch wir waren da und mach­ten uns auf. Geschickt wur­den wir zu A36. Dort erfuh­ren wir, dass das die Notaufnahme immer mache und dann nach etwas tele­fo­nie­ren zu E36 geschickt.

Dann kamen wir end­lich an. Meine Frau wur­de herz­lich und kom­pe­tent emp­fan­gen. Die Ärztin unter­such­te sie sofort und nach einem Blick auf den Entlassbrief, mein­te sie zu einer Pflegerin, dass eige­ne Untersuchungen gemacht wer­den müs­sen, da eini­ges nicht pas­se.

Ich war über­glück­lich, da es das ers­te Mal war, dass ein Arzt bestä­tigt, was ich immer mit­be­kom­men habe. Meine Frau kann mehr, als ihr attes­tiert wur­de.

Nach der Ankunft auf dem Zimmer hat­ten wir gut eine Stunde Zeit zum Ankommen. Und dann kam die pfle­ge­ri­sche Aufnahme. Herzlich. Liebevoll. Und Conny fühl­te sich auf Anhieb wohl. Und wur­de ent­spann­ter.

Frage, Antwort und was anders war als sonst

Dann kam die Ergotherapeutin. Sie stell­te mei­ner Frau eini­ge Fragen, die Conny beant­wor­te­te. Unter ande­rem: „Basteln Sie gern?“ Da reich­te ein Blick aus, um der Therapeutin klar zu ver­ste­hen zu geben: lässt du mich bas­teln, gehe ich in den Boykott. Als ich zu Conny sag­te, dass ich wohl gern etwas Gebasteltes hät­te, sprach die Ergotherapeutin an, dass bald Weihnachten sei.

Dann die Frage, die immer wie­der an Conny gerich­tet wur­de: „Wissen Sie, wel­chen Tag wir heu­te haben?“ Wie aus der Pistole geschos­sen, ant­wor­te­te Conny: „24. Dezember.“ Dann fiel es Conny auf, dass das nicht sein kön­ne. Und sie star­te­te einen neu­en Versuch: 24. Dezember. Weihnachten. Und anschlie­ßend ihre Verzweiflung.

Und dann erleb­te ich etwas, was bis dato nicht gesche­hen war. Die Ergotherapeutin ent­schul­dig­te sich bei mei­ner Frau: “Frau Fuchs, das ist mein Fehler gewe­sen. Ich habe Weihnachten erwähnt. Deswegen haben Sie das jetzt im Kopf. Und Sie haben recht. Am 24. Dezember ist Weihnachten.“ Gefolgt von: „Heute ist Mittwoch, der 14. August 2024.“ So unver­ständ­lich wie es klingt: Das hat­te noch kei­ner mit Conny gemacht. Ihr wur­de ein­fach mal gesagt, was für einen Tag wir haben.

Dann fuhr ich abends nach Hause. Gegen 19:40h tele­fo­nier­ten wir und ich hör­te, wie eine Schwester frag­te, ob Conny gern Kaffee hät­te. Ängstlich, ob ihrer Erfahrungen zuvor, frag­te Conny, ob denn noch Kaffee da sei. „Sie haben ange­ge­ben, dass Sie gern auch abends Kaffee trin­ken, des­we­gen habe ich gera­de eine fri­sche Kanne auf­ge­setzt.“, und Conny war glück­lich.

Es war so weit. Meine Frau ist in guten Händen. Ich darf zur Ruhe kom­men. Und brau­che kei­ne Angst mehr zu haben. Ein befrei­en­des Gefühl. Und die­ses Gefühl bestä­tig­te sich sowohl in der Früh-Reha als auch in der sechs­wö­chi­gen Rehabilitation.

Danke

An die­ser Stelle möch­te ich mei­nen Arbeitskollegen und Vorgesetzten dan­ken. Sie ermög­lich­ten mir, wochen­lang für mei­ne Frau da zu sein. Sie nah­men mir jed­we­de Sorgen um mei­nen Arbeitsplatz. Und sie waren mit Verständnis und Herz in die­ser schwe­ren Zeit für mich da.

Besonderer Dank gilt eben­falls den Pflegekräften der Station E36 der Ammerlandklinik, die mei­ne Frau und ande­re Patienten mit einer Hingabe, Liebe, Leidenschaft und Herzlichkeit umsorg­ten, die weit über das nor­ma­le Maß von Pflegekräften hin­aus gehen. So, dass sie sich erst­mals wohl und gebor­gen fühl­te. Und auch ich fand erst­mals Ruhe, in der Gewissheit, dass mei­ne Frau best­mög­lich ver­sorgt wird.

Woran erkenne ich einen Schlaganfall?

So prüfst du die wich­tigs­ten Anzeichen für einen Schlaganfall:

Face: Bitte die Person zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel her­ab, deu­tet das auf eine Halbseitenlähmung hin.

Arms: Bitte die Person, die Arme nach vor­ne zu stre­cken und dabei die Handflächen nach oben zu dre­hen. Bei einer Lähmung kön­nen oft nicht bei­de Arme geho­ben wer­den, ein Arm sinkt oder dreht sich.

Speech: Lass die Person einen ein­fa­chen Satz nach­spre­chen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme ver­wa­schen, liegt ver­mut­lich eine Sprachstörung vor.

Time: Zögere nicht und wäh­le unver­züg­lich die 112, um die Symptome zu schil­dern.

FAST steht als Abkürzung für:

Face (Gesicht), 
Arms (Arme), 
Speech (Sprache) und 
Time (Zeit)


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