
27.07.2024 — aus der Lebensbahn geworfen
Samstag, der 27.07.2024 gehörte zu den schwersten Tagen meines Lebens; und er schaffte es, mich komplett aus meiner Lebensbahn zu werfen. Meine Frau erlitt einen Schlaganfall.
Am Freitag zuvor blieben meine Frau Conny und ich länger auf. Gegen 1:30h am frühen Samstagmorgen wollten wir ins Bett. Conny räumte noch den Wohnzimmertisch ab und in der Küche auf, bevor sie sich zum Schlafen umzog und auf die Bettkante setzte.
„Ich bekomme keine Luft“, keuchte es von der Bettkante her und binnen Sekunden verschlechterte sich Connys Allgemeinzustand. Und ebenso geistesgegenwärtig sagte ich ihr, dass ich den Notruf wähle, was sie mit einem Nicken bestätigte.
Und so tippte ich die 112 ins Telefon. Binnen weniger Minuten, die mir deutlich länger erschienen, waren die Rettungssanitäter vor Ort. Sie legten ein EKG an und haben die Sauerstoffsättigung gemessen – 82 % Sauerstoffsättigung. Sie gaben vier Liter Sauerstoff, doch die Sättigung schaffte es nicht über 84 %. Conny schaffte es noch allein zur Trage im Wagen, bevor das Unheil seinen Lauf nahm.
Lebenskampf
78 % Sauerstoffsättigung – Lebensgefahr. Binnen weniger Minuten wurde ein Notarzt hinzugezogen. Und vierzig Minuten lang wurde im Rettungswagen versucht ihr Leben zu retten und sie für den Abtransport ins Krankenhaus zu stabilisieren. Doch sämtliche Maßnahmen schlugen fehl. Der Blutdruck schoss kurz hoch auf 290/170 und kurzerhand wurde sie intubiert und beatmet mit Blaulicht ins Krankenhaus verbracht.
Schockstarre. Wie im Nebel stand ich um 2:40h mitten auf der Straße, wo so eben noch der Notarzt parkte. Allein. Mit mir. Mit meinen Gedanken. Und der sich daraus ergebenden Unsicherheit.
Beruflich komme ich aus dem medizinischen Bereich und kann einiges einordnen, doch ein großes Unwohlsein machte sich in mir breit. Dass ich nicht direkt ins Krankenhaus fahren sollte, ist mir klar. Erst einmal geht Conny durch den Scheuersack der Diagnostik.
Um 4h war ich dann zur Klinik gefahren, um mir ein Update zu holen. Ich teilte der Pflegekraft mit, dass der Blutdruck in die Höhe geschossen war. Und diese mir, dass die Diagnostik noch nichts ergeben hätte, was ursächlich gewesen sei. Meine Frau lag beatmet und sediert auf der Intensivstation und ich versuchte mir ein Bild von den Monitoren und den Medikamenten zu verschaffen. Kurz danach wurde ich nach Hause geschickt, da die Diagnostik noch voll im Gange sei.

Nach einer nahezu schlaflosen Nacht fuhr ich morgens ins Krankenhaus und Conny lag noch ruhig gestellt und beatmet auf der Intensivstation.
Morgens im Krankenhaus
„Was der Auslöser war, können wir nicht sagen. Es ist weder ein Herzinfarkt noch ein Lungenproblem. Auch einen Schlaganfall können wir ausschließen.“ Was für beruhigende Worte. Mit einem Mal sind sämtliche Sorgen von mir abgefallen. „Dann kann es nur noch eine Herzschwäche sein“, dachte ich in mich hinein und ich war glücklich, mit dem Schrecken davongekommen zu sein.
Der Arzt teilte mir mit, dass er ihr morgen den Tubus entfernen und die Beatmung beenden wolle. Conny war zu dem Zeitpunkt langsam dabei wach zu werden und meisterte die Situation der Beatmung hervorragend, ohne Widerstand und Panik. Ich bin richtig stolz auf sie gewesen.
Doch Moment, was hatte der Arzt gesagt? Morgen? Sofort sprangen bei mir Alarmglocken an: „Wieso extubieren Sie nicht direkt?“, fragte ich den Arzt. „Das könnte eventuell zu früh sein“, teilte er mir mit. Ich erwiderte: „Sie können jederzeit wieder intubieren. Daher bestehe ich darauf, dass sie heute extubiert wird. Besprechen Sie das mit Kollegen und dann schauen wir weiter, ob meine Frau extubiert wird oder mit wem ich dann sprechen muss. Sie wird heute extubiert.“ Ich blickte in ein paar verdutzte Augen und dann wägten die Ärzte Pro und Contra ab. Gegen Nachmittag wurde der Tubus dann entfernt und Conny atmete geschwächt, doch eigenständig.
Erste Diagnostik
„Bewegen sie einmal Ihre Beine“, forderte ein Arzt Conny auf. „Und jetzt ihre Arme.“ Das ging jeweils hervorragend. Und mir wurde abermals versichert, dass man zwar keine Ursache finden konnte, doch alle gravierenden Punkte medizinisch ausgeschlossen seien. Conny bekam etwas zu essen und genoß zufrieden ihr Mittagessen.
Ich redete mit ihr, doch sie sagte nichts. Und wenn sie etwas sagte, passte es nicht zur Frage. Ich war irritiert, doch noch in jüngster Vergangenheit war Conny noch ruhig gestellt gewesen. Aus ihren früheren Operationen am Knie wusste ich, dass sie sehr stark auf Narkosen anspricht, weswegen ich mir nichts dabei dachte.
„Ist alles so wie immer, bei Ihrer Frau?“, fragte mich eine Ärztin. Und ich antwortete: „Ja, bis auf das Sprechen, doch das war öfter schon mal nach Narkosen schwierig gewesen.“ Doch die Situation war ungewöhnlich. Die Sedierung bei einem Tubus ist nicht so stark, wie bei einer OP-Narkose. Doch Schlaganfall, Herzinfarkt, Lungenversagen – alles ausgeschlossen. „Stephan bleibe entspannt. Habe Vertrauen“, ging mir zu dem Zeitpunkt durch den Kopf.
Einige Stunden später war Conny weiterhin nicht richtig am Sprechen und kommunizierte ausschließlich mit Gesten. Ich schnappte mir vor der Heimfahrt eine Pflegekraft und teilte ihr mit: „Hier stimmt etwas nicht. Geben Sie das weiter, da muss noch einmal geschaut werden!“
Und mit etwas Unbehagen fuhr ich nach Hause.
Wachgerüttelt von Adrenalin und Gedanken
Samstag 22:50h. Das Telefon klingelte. „Ihre Frau wird nach Osnabrück verlegt. Der Transport geht in wenigen Minuten los.“ Und Adrenalin schoss durch meine Adern und ich wurde mit einem Schlag hellwach. Wieder drehen sich die Mühlen der Diagnostik und bescheren mir das Endlose warten. Ich versuchte ruhig zu bleiben und mich hinzulegen.
Sonntag, kurz vor zwei Uhr am Morgen. Das Telefon klingelte. Meine Tochter rief mich an. „Sie verlegen Mama zur Not-OP nach Ibbenbüren. Sie hat einen Schlaganfall.“ Stille Panik, anders kann ich es nicht beschreiben. Sorge, ohne handlungsfähig zu sein. Warten. Dieses elende Warten. Doch die Ursache ist gefunden. Endlich. Sie wird operiert. Das wird schon werden. Beruhigende Gedanken.
In Ibbenbüren angekommen, lag meine Frau schlafend auf der Intensivstation. „Sind Sie der Ehemann?“, hörte ich jemanden fragen. „Ja“, hauchte ich. „Ihre Frau hat einen Schlaganfall gehabt. 60 % der linken Gehirnhälfte sind dabei zerstört worden. Die linke Hirnhälfte. Zuständig für Bewegung. Wenn sie wach wird, wird sie sich nicht bewegen können. Und Sie sollten sich Gedanken um einen Heimplatz machen“, teilte mir ein Arzt mit.
Jeder Versuch meine Emotionen und Gedanken niederzuschreiben, die mir nach diesem Satz durch den Kopf gingen, würde nicht in der Lage sein, im Ansatz zu erfassen, was in mir vorgegangen ist. Deswegen verzichte ich darauf.
Was folgte, war ein Auf und Ab der Emotionen. Und ein gewaltiges Kämpfen um die bestmögliche Versorgung.
Akzent setzt Fehleinschätzung
Morgens angekommen, sitze ich am Bett meiner Frau. Sie ist wach, doch noch nicht orientiert. Ein Arzt kommt herein und spricht mit meiner Frau – keine Reaktion. Er bittet Conny, die Arme auszustrecken und die Handflächen nach oben zu drehen. Keine Reaktion. Er bittet sie, die Beine zu bewegen. Abermals keine Reaktion.
Ich sehe, wie er auf seinem Formular eine Bewertung von 0 Punkten einträgt und gehen will. Geistesgegenwärtig reagiere ich und bitte den Arzt im Zimmer zu bleiben.
Ich fordere meine Frau auf, mir in die Augen zu sehen, was sie sofort macht. Dann bitte ich sie, die Arme auszustrecken – es geschieht. Ich sage ihr, dass die Handflächen nach oben gedreht werden sollen. Und Conny dreht langsam die Handflächen nach oben. Abschließend animiere ich sie dazu, beide Beine zu bewegen, was sie macht.
Dann fordere ich den verdutzt dreinschauenden Arzt dazu auf, die Bewertung in meinem Beisein zu korrigieren. Mir ist nämlich etwas aufgefallen. Ein Arzt, der mit so viel Akzent spricht, dass ich ihn kaum verstehen kann, macht es einem Schlaganfall-Patienten mit Störung im Sprachzentrum unmöglich, ihm zu folgen. Wäre ich zu diesem Zeitpunkt nicht im Krankenhaus gewesen, wäre meine Frau falsch beurteilt und behandelt worden.
38 Puls
Ansprechbar, geschwächt und fiebrig liegt meine Frau im Bett der Intensivstation. Draußen sind es über 30 Grad und das Zimmer nicht klimatisiert. Mit einem feuchten Waschlappen versuche ich, meine Frau immer mal wieder abzukühlen. Eine Lungenentzündung bahnt sich ihren Weg und schwächt sie zusätzlich.
Ich schaue auf den Monitor und sehe, dass der Puls immer mal wieder unter 50 Schlägen die Minute wandert. Einige Zeit später unter 45. Dann 40. Bei 38 Schlägen die Minute drücke ich auf den Knopf an ihrem Bett und ein Pfleger kommt herein.
Ich weise ihn auf den Puls hin und erfahre, dass sie es sich aktuell nicht erklären können, doch bis 35 Schläge pro Minute würde es von den Ärzten toleriert werden. Ich frage nach, ob die 35 Schläge je Minute ärztlich bestätigt seien, was bejaht wurde. Dann wollte der Pfleger gehen, doch ich machte ihn darauf aufmerksam, dass der Alarm am Monitor noch auf 25 Schläge pro Minute steht und er es anpassen solle, da sie es sonst nicht mitbekommen.
Meine Frau ist zu dem Zeitpunkt bereits dermaßen geschwächt, dass sie die meiste Zeit des Tages schläft und nur minutenweise wach ist.
Es hinterlässt kein gutes Gefühl bei mir und ich fahre abends beunruhigt nach Hause.
Unfreiwilliger Pfleger
Am nächsten Morgen soll meine Frau Tabletten einnehmen. Doch sie versteht nicht, was die Pflegerin von ihr möchte. Diese wiederum wird unruhig, da meine Frau die Medikamente nehmen muss und keine andere Pflegekraft verfügbar ist, die ihr beim Legen einer Nasensonde helfen kann.
Da mir das Einnehmen der Medikamente ebenfalls wichtig ist und ich spüre, wie die Unruhe der Pflegekraft meine Frau verunsichert, biete ich meine Hilfe als ehemaliger Pfleger an. Und helfe dabei, meiner Frau die Nasensonde zu legen.
Da sie nicht versteht, was nun geschieht, kommt Panik in ihr auf. Und ich versuche, auf sie einzuwirken, was nicht gelingt. So muss ich sie festhalten, während sie aus ihrer Sicht Gewalt erfährt. Ihren Blick in meine Augen und die verzweifelten Versuche, sich mittels Lauten Hilfe zu verschaffen, sowie ihren Versuch, sich mit der geschwächten Kraft ihrer Arme gegen mich zu wehren, werde ich nie vergessen und er verfolgt mich bis heute. Ihre pure Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst brannten sich in mir ein.
Raum für Schock und fehlende Beißkraft
Am 31.07.2024 geht es von Ibbenbüren zurück nach Osnabrück. Um 10h soll Conny im Krankenhaus ankommen, weswegen ich dort pünktlich erschienen bin.
Mit einem heliumgefüllten Herz-Luftballon, Geschenken und guter Laune komme ich am Empfang an und freue mich, ihr zum Geburtstag gratulieren zu können. „Ich möchte gern meine Frau besuchen …“, säusle ich vor mir her, bis ich jäh in meiner fröhlichen Stimmung unterbrochen werde.
„Ihre Frau liegt im Schockraum.“ Mehr Auskunft könne man mir nicht geben. Panik. Adrenalin. Verzweiflung. Emotionen überwältigen mich. Ich will einen Arzt sprechen, doch das gehe nicht. Ich solle in einer Stunde wiederkommen.
Tränen und Panik
Vor dem Krankenhaus breche ich unter der Last meiner Emotionen zusammen. Klar, ihr Herz ist mit 38 Schlägen je Minute schwach. Und auch das Fieber, die Lungenentzündung und ihre Schwäche sind nicht förderlich. Doch, im Schockraum? Hat sie nicht genug durchgemacht?
Unter Tränen informiere ich unsere Tochter. Und lasse mich weinend auf einer Mauer nieder und zähle die 3600 Sekunden bis ich endlich zu ihr darf.
„So, die Stunde ist um“, höre ich mich sagen, während ich am Empfang stehe. Die Frau an der Rezeption wählt eine Nummer und spricht in den Hörer: „Oh. Ja. Dann sage ich ihm das.“ Ich erfahre wieder, dass es noch andauert und werde um weitere dreißig Minuten vertröstet.
Missverständnis
Als ich nach weiteren dreißig Minuten fordere, dass ich zu meiner Frau kann oder ein Arzt käme, sonst gehe ich so in den Schockraum, schaut sie mich irritiert an: „Wieso Schockraum? Sie liegt auf der Stroke-Unit.“ Ich erwiderte: „Sie selbst sagten …“ Und sie meinte: „Ja, Shoke und Stroke verwechsle ich schon mal. Das tut mir leid.“ Und wieder jagen Emotionen durch meinen Körper. Erleichterung, Wut auf diese Unperson und abermals Erleichterung.
Freudiges Wiedersehen
Auf der Stroke-Unit angekommen, empfing ich meine Frau. Recht gut gelaunt im Bett der Intensivstation.
Die Pflegerin klärte mich auf, dass sie ein falsches Herzmedikament erhalten habe, das ihren Puls langsamer mache und sie deswegen schlapp sei. Das sei umgestellt worden. Erneut dieses Gefühl von Erleichterung. Und dann die nächste Frage an mich: „Haben Sie die Zähne Ihrer Frau?“ „Nein, die hatte sie gestern im Badezimmer, die habe ich dort abgelegt.“ „Nein, als sie auf der Intensivstation angekommen ist, hatte ihre Frau keine Zähne im Mund.“
Frust dank Zahnverlust

Verdammte Scheiße. Die Zähne benötigt sie zum Sprechen lernen. Und überhaupt. Zum Essen. Wo sind diese verdammten Zähne?
Ich rief in der Klinik Ibbenbüren an und ließ mich mit der Station verbinden. Nein, dort sind keine Zähne auffindbar. Ich fuhr dorthin. Keine Zähne auffindbar. Und ich verlangte um Auskunft, wo sie verblieben sein können. Auf den nächsten Tag wurde ich vertröstet. Dann könne ich mit der Pflegerin sprechen, die meine Frau für den Transport vorbereitet hat.
Der nächste Tag brachte die Klarheit, dass die Zähne im Mund waren, als Conny nach Osnabrück gefahren wurde. Ich rief direkt auf der Intensivstation an und teilte mit, dass die Zähne im Mund waren und nun in Osnabrück verloren gingen. Das könne nicht sein, hörte ich am anderen Ende. Und ich teilte mit, dass ich komme und mit der Pflegekraft, die meine Frau entgegennahm, jeden Bereich einzeln durchgehen werde, in dem sie untersucht wurde. Dafür habe man keine Zeit, ließ man mich wissen und ich reagierte mit der notwendigen Emotion.
Direkt danach machte ich mich auf den Weg zum Zahnarzt, um in Erfahrung zu bringen, welche Optionen ich beim Zahnverlust habe. Ich wollte sofort einen Plan B haben, damit eingeschätzt werden kann, wie es sich mit dem Kauen, Schlucken, Essen und Sprechen verhält. Und die Therapie starten kann. Ich war gerade bei der Arzthelferin unseres Zahnarztes im Gespräch, als ich einen Anruf erhielt: „Die Zähne Ihrer Frau sind wieder im Mund.“ Welch erlösende Nachricht und Erleichterung.
Später erfuhr ich, dass die Zähne für Untersuchungen aus dem Mund genommen und irgendwo abgelegt wurden. Und dann wurde schlicht vergessen, sie wieder einzusetzen.
Falsche Punktevergabe
Insgesamt ist die Pflege auf der Intensivstation in Osnabrück ausgezeichnet gewesen und meine Frau wurde wirklich hervorragend umsorgt.
Die Medikation aus Ibbenbüren, die für 38 Herz-Schläge pro Minute verantwortlich war, wurde abgesetzt. Die tägliche Sprachtherapie begann.
Dann erlebte ich etwas, was mich nachdenklich stimmte. Ich kam etwas eher als sonst und saß bei dir, als eine Frau hereinkam, Conny ansah und nickte, zu einem Klemmbrett ging und dort ein Formular ausfüllte. Anschließend ging sie wortlos aus dem Zimmer.
Folglich stand ich auf und ging zu dem Formular. Und ich sah, wie eine Beurteilung eingetragen wurde. Bewusstseinszustand, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Sprachfähigkeit, Orientierung und andere Parameter wurden hier mit einem Punktesystem von 0 bis 3 bewertet. Und die Bewertung sah auch für die Verhältnisse meiner Frau noch schlecht aus, weswegen ich eine Pflegerin fragte, was das für ein Formular sei.„Da prüft jemand, wie der Zustand ihrer Frau ist“, erhielt ich als Antwort, die mir noch mehr Fragezeichen ins Gesicht trieb. „Muss dafür nicht jemand mit meiner Frau sprechen?“, fragte ich nach. Und die Antwort lautete: „Da kommt immer jemand, der sich ein Bild von ihrer Frau macht.“
Nach einem kurzen Moment der Fassungslosigkeit, klärte ich die Pflegerin darüber auf, dass das wohl stimme. Doch diese Person spreche nicht einmal mit meiner Frau, bevor der Bogen ausgefüllt wird.
Das sorgte zumindest dafür, dass ab diesem Zeitpunkt mit meiner Frau dreimal täglich vor dem Ausfüllen des Bogens gesprochen wurde; dass die Ergebnisse etwas besser ausgefallen sind als zuvor, möchte ich hier noch abschließend erwähnen.
Punktieren ohne Blick in die Unterlagen
Meine Frau wird umsorgt. Die Lungenentzündung wird merklich besser, nur das Wasser in der Lunge will nicht raus.
Es kommt ein Arzt, der einen Ultraschall von der Lunge macht. Ebenso hört er diese ab. Und er teilt mit, dass er empfiehlt, die Lunge zu punktieren, damit das Wasser entfernt werden kann.
Sofort legte ich ein Veto ein und er schaute mich verdutzt an. Ich erinnere ihn, dass meine Frau Clopidogrel und ASS erhält. Eine Punktierung der Lunge hätte eine innere Blutung zur Folge. Dann schaut er in den Medikamentenplan und weicht von seiner Meinung ab. Und meine Frau erhält Diuretika, um das Wasser aus der Lunge zu eliminieren, was binnen weniger Tage gelingt.
Der Wunsch aufzustehen
Meine Frau wird auf die Normalstation verlegt; ein gutes Zeichen. Allerdings darf sie das Bett nicht verlassen. Sie erhält noch Sauerstoff und muss mehrmals täglich inhalieren.
In der Visite erfahre ich, dass meine Frau aufstehen darf, sobald es die Sauerstoffwerte zulassen. Und ich sehe, dass sie zwischen 90 % und 93 % Sauerstoffsättigung liegt. Keine Traumwerte. Das ist mir bewusst. Doch ich spreche einen Pfleger darauf an, der mir mitteilt, dass Aufstehen ausgeschlossen sei.
Ein erneuter Anlauf
Am nächsten Tag liegen die Werte mit 2 Liter Sauerstoff je Minute zwischen 92 % und 94 %. Ich spreche den Pfleger wieder darauf an und erhalte eine verneinende Antwort.
Und dieses Mal bleibe ich hartnäckig. „Wenn es unbedingt sein muss. Dann aber nur auf dem Flur. Und wir müssen den Wert regelmäßig überwachen“, antwortete der Pfleger hörbar genervt.
Gesagt. Getan. Meine Frau steht auf und wir gehen ein paar Schritte bis zu einer Sitzgruppe. Dort lassen wir uns nieder und meine Frau trinkt das erste Mal glücklich einen Kaffee am Tisch. Misslaunig beäugt vom besagten Pfleger.
Viele Pfleger gingen den Flur entlang. Und nicht einer wollte Sauerstoff messen. Überhaupt gab es von dem Moment niemanden mehr, der sich für die Sauerstoffsättigung meiner Frau interessierte. Keine Messung mehr. Und kein Sprechen mehr darüber. Als wäre das das Unwichtigste überhaupt.
Dank der Apple Watch, die meine Frau trägt, konnten wir den Wert selbst im Blick behalten. Und was ich schon seinerzeit in der Pflege lernte, griff auch hier: wird die Lunge vernünftig belüftet und kommt Aktivität hinzu, dann bessert sich auch die Sauerstoffversorgung. Schnell waren wir bei 93–97 % Sättigung.
Am nächsten Tag kam unsere beste Freundin vorbei und wir gingen mit Conny nach draußen, wofür wir uns einen Rollstuhl ausliehen.
Und der Pfleger? Er knurrte vor sich hin, doch die von ihm als so wichtig proklamierte Sauerstoffmessung fand nie wieder statt.
„Für so einen Scheiß habe ich keine Zeit“
Einen Tag zuvor lag Conny im Bett und sagte: „Sende mir mal eine Eule.“ Okay. Wir sind im Harry Potter Universum, dachte ich noch, als Conny unruhig wurde. “Sende mir jetzt mal eine Eule“, bekräftigte sie ihren Wunsch. Auf Nachfrage wurde Conny etwas böse mit mir und ich erklärte ihr, dass es für sie richtig klingt, doch für Außenstehende wenig Sinn ergibt. Einige Fragen später war klar, was sie meinte: Bitte hole mir einen Kaffee. Erkannt, getan. Und Conny war glücklich über ihren Kaffee. Und wir übten den Nachmittag immer mal wieder, Kaffee zu bestellen, bis ich abends nach Hause fuhr.

Täglich bin ich von 10:00h bis 19:30h bei ihr vor Ort. Und zwischenzeitlich telefonieren wir oft. So auch diesen Morgen kurz nach neun Uhr. Meine Frau hört immer auf zu sprechen, wenn jemand das Zimmer betritt, und ich akzeptiere das und schweige dann selbst.
Und plötzlich höre ich sie, Folgendes sagen: „Könnten Sie mir eine Tasse Kaffee holen?“ Sofort sammeln sich Tränen in meinen Augen. Das erste Mal. Fehlerfrei! Ein ganzer Satz. Begeisterung.
Anstatt, dass dies Beachtung findet und sie bestärkt wird, sagt die Pflegekraft: „Für so einen Scheiß habe ich jetzt nun wirklich keine Zeit.“
Meine Frau war traurig. Ich erläuterte ihr, wo sie den Kaffee selbst holen könne. Und fuhr mit einigen Emotionen im Bauch zum Krankenhaus.
„Für so einen Scheiß habe ich keine Zeit“, wiederholte ich den Satz, nachdem ich erläutert hatte, was sich zugetragen hat. „Ihre Frau hatte einen Schlaganfall. Ihr Gehirn ist defekt. Und sie kann nicht richtig sprechen. Da bringt sie bestimmt etwas durcheinander“, hörte ich die Person antworten, deren Stimme ich sofort erkannte.
„Ja, da haben Sie recht“, stimmte ich zu. „Meine Frau könnte sich irren. Aber ich nicht. Ich bin gesund. Und ich war zu dem Zeitpunkt am Telefon. Und ich werde hier und jetzt nichts unternehmen. Doch wenn es noch ein einziges Mal vorkommt, dann werde ich notfalls bis zur Klinikleitung vorgehen und nicht eher Ruhe geben, bis es Konsequenzen gibt. Haben wir uns verstanden?“, sprach ich bestimmt und mit tiefem Blickkontakt.
Es gab ein kurzes Erröten. Und ich ging zu meiner Frau, um sie zu begrüßen. Seitdem bekam meine Frau Kaffee. Und ihre Bettnachbarin profitierte ebenfalls von einer freundlicheren Behandlung.
Endlich komme ich zur Ruhe
Ein paar Tage später erhalten wir eine wunderbare Nachricht: Ein Platz in der Früh-Rehabilitation in Westerstede in der Ammerland-Klinik wurde frei.
Am 14. August machte ich mich frühmorgens auf den Weg nach Westerstede. Meine Frau wurde mit einem Krankentransport dorthin verbracht.

Etwa 30 Minuten, bevor meine Frau angekommen war, war ich vor Ort. Schaute mir die Klinik an, die einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ. Dann bestellte ich mir ein mit 17,– € arg überteuertes Frühstück. Bevor ich dank der „Wo ist?“-Funktion von Apple sah, dass meine Frau im Anmarsch ist.
Osnabrücker Kennzeichen. Krankentransport. Sofort ging ich auf den Wagen zu und wurde zu meiner Frau gelassen. Sie wurde liegend transportiert, was nicht nur unnötig ist, sondern auch zeigt, wie schlecht meine Frau beurteilt wurde.
Nach etwas Sucherei mit dem Krankenwagen fuhren wir zur Notaufnahme, wo meine Frau widerwillig entgegengenommen wurde. Widerwillig, da es nicht die Liegendanfahrt war. Doch wir waren da und machten uns auf. Geschickt wurden wir zu A36. Dort erfuhren wir, dass das die Notaufnahme immer mache und dann nach etwas telefonieren zu E36 geschickt.

Dann kamen wir endlich an. Meine Frau wurde herzlich und kompetent empfangen. Die Ärztin untersuchte sie sofort und nach einem Blick auf den Entlassbrief, meinte sie zu einer Pflegerin, dass eigene Untersuchungen gemacht werden müssen, da einiges nicht passe.
Ich war überglücklich, da es das erste Mal war, dass ein Arzt bestätigt, was ich immer mitbekommen habe. Meine Frau kann mehr, als ihr attestiert wurde.
Nach der Ankunft auf dem Zimmer hatten wir gut eine Stunde Zeit zum Ankommen. Und dann kam die pflegerische Aufnahme. Herzlich. Liebevoll. Und Conny fühlte sich auf Anhieb wohl. Und wurde entspannter.
Frage, Antwort und was anders war als sonst
Dann kam die Ergotherapeutin. Sie stellte meiner Frau einige Fragen, die Conny beantwortete. Unter anderem: „Basteln Sie gern?“ Da reichte ein Blick aus, um der Therapeutin klar zu verstehen zu geben: lässt du mich basteln, gehe ich in den Boykott. Als ich zu Conny sagte, dass ich wohl gern etwas Gebasteltes hätte, sprach die Ergotherapeutin an, dass bald Weihnachten sei.
Dann die Frage, die immer wieder an Conny gerichtet wurde: „Wissen Sie, welchen Tag wir heute haben?“ Wie aus der Pistole geschossen, antwortete Conny: „24. Dezember.“ Dann fiel es Conny auf, dass das nicht sein könne. Und sie startete einen neuen Versuch: 24. Dezember. Weihnachten. Und anschließend ihre Verzweiflung.
Und dann erlebte ich etwas, was bis dato nicht geschehen war. Die Ergotherapeutin entschuldigte sich bei meiner Frau: “Frau Fuchs, das ist mein Fehler gewesen. Ich habe Weihnachten erwähnt. Deswegen haben Sie das jetzt im Kopf. Und Sie haben recht. Am 24. Dezember ist Weihnachten.“ Gefolgt von: „Heute ist Mittwoch, der 14. August 2024.“ So unverständlich wie es klingt: Das hatte noch keiner mit Conny gemacht. Ihr wurde einfach mal gesagt, was für einen Tag wir haben.
Dann fuhr ich abends nach Hause. Gegen 19:40h telefonierten wir und ich hörte, wie eine Schwester fragte, ob Conny gern Kaffee hätte. Ängstlich, ob ihrer Erfahrungen zuvor, fragte Conny, ob denn noch Kaffee da sei. „Sie haben angegeben, dass Sie gern auch abends Kaffee trinken, deswegen habe ich gerade eine frische Kanne aufgesetzt.“, und Conny war glücklich.
Es war so weit. Meine Frau ist in guten Händen. Ich darf zur Ruhe kommen. Und brauche keine Angst mehr zu haben. Ein befreiendes Gefühl. Und dieses Gefühl bestätigte sich sowohl in der Früh-Reha als auch in der sechswöchigen Rehabilitation.
Danke
An dieser Stelle möchte ich meinen Arbeitskollegen und Vorgesetzten danken. Sie ermöglichten mir, wochenlang für meine Frau da zu sein. Sie nahmen mir jedwede Sorgen um meinen Arbeitsplatz. Und sie waren mit Verständnis und Herz in dieser schweren Zeit für mich da.
Besonderer Dank gilt ebenfalls den Pflegekräften der Station E36 der Ammerlandklinik, die meine Frau und andere Patienten mit einer Hingabe, Liebe, Leidenschaft und Herzlichkeit umsorgten, die weit über das normale Maß von Pflegekräften hinaus gehen. So, dass sie sich erstmals wohl und geborgen fühlte. Und auch ich fand erstmals Ruhe, in der Gewissheit, dass meine Frau bestmöglich versorgt wird.
Woran erkenne ich einen Schlaganfall?

So prüfst du die wichtigsten Anzeichen für einen Schlaganfall:
Face: Bitte die Person zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.
Arms: Bitte die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können oft nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt oder dreht sich.
Speech: Lass die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
Time: Zögere nicht und wähle unverzüglich die 112, um die Symptome zu schildern.
FAST steht als Abkürzung für:
Face (Gesicht),
Arms (Arme),
Speech (Sprache) und
Time (Zeit)
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